Künstlergruppe Querschlag (2003-2008)

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Jens Ossada

Jens Ossada

Jens Ossada Plastik Der Mensch ist ein soziales Wesen, der seinen Nutzen aus einer klaren Kommunikation auf der Grundlage des gegenseitigen Verständnisses zieht. Wir verwenden Sprachen oder tun dies durch andere Mittel auch in der Phantasie des Geistes. Aus diesem Grund nutzen wir meist eine verständliche visuelle Sprache. Aber die Sprache der Menschen dient nicht nur der Kommunikation, sie schränkt ihn auch ein und behindert ihn in der Entwicklung seiner Originalität. Um eine originelle Art von Phantasie zu erreichen, ist daher eine eigene Bildsprache notwendig.
Jens Ossada ist nicht der Erste wäre die Schlussfolgerung. In der Geschichte der Kunst gibt es mehrere Beispiele von Künstlern, die eine ganz eigene Formensprache entwickelt haben. Einige sind in rein rationaler Art und Weise ans Werk gegangen. Zum Beispiel Stanley Brouwn, einer der beständigsten konzeptionellen Künstler unseres Landes, beschränkte sich jahrelang auf das Erfassen seiner eigenen Spuren. Bei Ausstellungen zeigte er auf Wänden, in Vitrinen, auf Karten und in Archivdosen seine eigenen subjektiven Größen, die für ihn als objektive und griffige Längeneinheiten galten. Darüber hinaus stellte er in endlosen Wiederholungen gemeinsam die Länge von einem Meter und einem Schritt dar.
Andere Künstler gingen dagegen sehr persönlich ans Werk. Für die deutschen Künstlers Joseph Beuys war ein traumatisches Ereignis entscheidend für seine Kunst. Im Jahre 1943 stürzte er als Pilot in Russland ab, wo dann die Tartarenbevölkerung ihn unter den Trümmern gefunden hat. Er wurde in einem Zelt mit Fett und Filz eingeschmiert und mit Lumpen umhüllt. So blieb er am Leben. Seitdem bilden Filz und Fett wiederkehrende Elemente in seiner Arbeit. Mit Fett blickte er auf ein neues Gleichgewicht zwischen Denken und Fühlen. Wenn es warm ist, ist es weich, formlose, chaotische und stand in seiner Wahrnehmung entsprechen für Gefühl. In kalten Bedingungen ist es fest, solide und konstatierte für ihn in die Phantasie und den Intellekt.
Zwischen diesen Extremen stellt die Arbeit des Schweizers Paul Klee eine harmonische, mittlere Position dar. Es enthält alle möglichen Begriffe, die mit dem Schreiben: Sprache, Zeichen-, Bild-, Bildschrift usw. zu tun haben. Sie sind visuelle Elemente aus fremden Kulturen, von der Dekoration in der primitiven Kunst, von den Kindern oder aus Klees eigener Phantasie. Er nutzte sie zur Gestaltung seiner mystischen Ansichten. In dieser Hinsicht ähneln die poetischen Ideen von Klee den Ansichten von Jens Ossada.
Jens Ossada Plastik Im Leben Ossadas zeigt sich die Vielseitigkeit des Wesens „Mensch“ in sieben verschiedenen Konstitutionen. Er nennt sie nacheinander Schöpfer, Phobiker, Kategoriker, Egoist, Sozius, Hedonist und Suchender. Diese Wesenszüge bevölkern seine Welt. Die Materialien, aus denen diese Welt gebaut wurde, gliedert Ossada in vier Quadranten. Die vertikale Achse ist durch die Pole “Material” und “Bewusstsein” begrenzt und die vertikale Achse reicht von “Freiheit” und bis “Geometrie”.
Das visuelle Vokabular, dessen Ossada sich bedient, erstreckt sich von Materialien über Zahlen und geometrischen Formen bis zu Artefakten, jedes mit einer eigenen Bedeutungen. Holz besteht in seiner Wahrnehmung aus lebender Materie - warm, organisch, einschließlich der natürlichen Unregelmäßigkeiten, ein Symbol für Lebewesen und Verwundbarkeit. Metall und Beton symbolisieren die tote Materie, Härte und Kälte. Die Zahl 9, die größte einzelne Zahl, sieht er als Symbol für die Massenproduktion. Die Schraube und das Schwungrad für die mechanischen Betriebsamkeit. All diese Konzepte münden bei Ossada in spitze Gedichte quadratische Bilder und kubische Plastiken, womit er die heutige conditio humana zu zeigen versucht.
So gibt Ossada seiner Welt Bedeutung und seinem Denken und Handeln die Richtung. Für den Künstler ist von entscheidender Bedeutung. Aber, ist es für die Wertschätzung seiner Arbeit wichtig, dass sein Publikum dieses Leben versteht? Ich glaube nicht. Wie auch in den poetischen Bildern von Paul Klee ist es nicht störend, wenn wir nicht sofort verstehen, was die genaue Aussage von Ossada ist, denn der geschlossene Charakter seiner Arbeit gehört zu seinen wichtigsten Qualitäten. Es verleiht seinem Werk eine schwer fassbare aber solide Struktur.
Jaap Versteegh, 9/2008

Jens Ossada Plastik Das Wesen Mensch — wer denkt da nicht an die Kreatur, die Schöpfung Gottes. Oder, um ein anderen Glaubenssatz zu benennen, an die „bio-psycho-soziale Einheit Mensch“. Den Maler und Skulpturenbauer Jens Ossada beschäftigt die Frage, worin das Wesen des Menschen besteht, ohne sich davon abschrecken zu lassen, daß es auf diese Frage keine endgültige Antwort geben kann. Ihm kommt es auf die Suche an, nicht auf das Finden.
Ossada fertigt Konzeptkunst. Das ideologische Vakuum, in das der Osten Deutschlands 1989 stürzte, füllt Ossada als Suchender mit Gegen-Sätzen aus: Er ist mutig genug, seine persönlichen Standpunkte an die Stelle realsozialistischer und postmodern-spätkapitalistischer Dogmen zu setzen. Er befindet sich in der gegenwärtigen Zeit, indem er ihre Abfälle als Material verwendet, und er ist gegen sie, indem er sie nicht blind und widerspruchslos anerkennt.
Daß Ossada damit seiner Kunst eine gewisse Plakativität verleiht, stößt zur Auseinandersetzung an: Auch Ossada will mit seinen Werthaltungen wieder überwunden werden. Besonders gelungen sind die Materialarbeiten, bei denen das vordergründig Ideologische hinter den Ready-made-Charakter vorgefundener Alltagsgegenstände wie Handschuh oder Jacke zurücktritt. Hier kann der Betrachter anknüpfen, findet scheinbar Vertrautes und ist überrascht vom ungewohnten Zusammenhang, in den es gestellt ist. So erinnert die Komposition der ausgestopften Kleider in „Nur die anderen“ auf gespenstische Weise an Giftgastote im ersten Weltkrieg oder die Kleiderkammer der getöteten Juden in Auschwitz
Peter Dombrowski, ein Leipziger Autor, der kürzlich sein Debüt vorlegte, formuliert es so: „Der Mensch ist das Tier, das weiß, das es kein Tier ist.“ Vieles im Menschen erinnert an das Tierreich. Wir entstammen ihm, aber sind wir ihm auch „entsprungen“? „Entsprungen“ im Sinne, daß wir ihm nicht mehr angehören? Es gehört zu den menschlich, allzumenschlichen Illusionen, daß der Mensch alle guten Eigenschaften, die er an sich wahrnimmt und derer er sich rühmt, als menschliche Qualitäten einstuft, alles Böse aber, das sich in ihm äußert, Krieg und Verbrechen, als tierische Relikte betrachtet.
[...]Ossada hat den Mut, uns seine Konstruktionsidee der Welt zuzumuten. Er tritt als Schöpfer eines Second Life auf eine Bühne, deren Kulissen abstrakt und reduziert erscheinen, auf der das Wesen Mensch in der Masse aufgeht oder seine Individualität einbüßt. Hätte Ossada in sieben Tagen die Welt geschaffen, würden wir uns selbst in ihr nicht wiedererkennen. Als Schöpfer des Zerr- oder Rückspiegels, in dem wir das Wesentliche unserer Existenz sehen, gelingt es dem Künstler, Fragen aufzuwerfen, damit wir nicht wie selbstverständlich unsere Individualität zu Markte tragen und gegen widerstandsloses Funktionieren in der Leistungsgesellschaft eintauschen.
Jens Ossada Plastik Ossada schafft in seinen Werken eine Verbindung zwischen sinnlicher Wahrnehmung und gedanklicher Reflexion. Weder „die Wirklichkeit“ zweifelt noch der Sinneseindruck. Sie lassen sich akzeptieren oder ablehnen. Erst durch Reflexion entstehen Zweifel. Theoretisch ließe sich dieser Prozeß ins Unendliche fortsetzen: Es könnte wiederum Zweifel geben, die sich auf die vorherigen Zweifel beziehen usw. In der Regel geschieht dies jedoch nicht und wenn es geschieht, wird es rasch gefährlich. Das Bewußt-Sein kann sich im Endlosen verirren. Das Fortschreiten in unendliche Schleifen des Zweifelns führt ins Abgründige, denn es offenbart die Nichtexistenz eines absoluten Sinns. Erst wo Zweifel ist, wächst auch die Verzweiflung.
Doch Ossada bricht den Prozeß des Infragestellens auf der Ebene abstrakter Reflexion ab und setzt Zeichen. Er reduziert die unendliche Komplexität des menschlichen Wesens auf sieben Kategorien. Will er den Betrachter vorm Absturz in den unendlichen Progreß des Zweifelns schützen, ihn vor dem unvermeidlichen Gefühl des Sinnverlustes bewahren?
Je abstrakter Ossada operiert, desto stärker ist sein Werk von anschaulichen Bezügen, Materialien, und bildhaften Vorstellungen abhängig, um den Gegenstand nicht zu verlieren. Abstraktionen sind in der Regel von schwächerer Intensität als unmittelbare sinnliche Reize.
Ein Künstler, der – ganz untypisch – auf die Darstellung des nackten menschlichen Körpers verzichtet, um uns das Wesen des Menschen vor Augen zu führen, bricht mit der abendländischen Tradition – und er muß aufpassen, sich nicht in wolkigen Gelehrsamkeiten zu verirren. Gerade der Wechsel zwischen konkreter und abstrakter Erkenntnis, zwischen Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit kennzeichnet die Qualität des künstlerisch Geschaffenen.
Zum Schluß noch eine kritische Frage: Warum etabliert Ossada ausgerechnet sieben Kategorien um das Wesen des Menschen einzufangen? Hätten nicht vier gereicht? Dostojewskijs „Brüder Karamasow“ können in diesem Sinne als Facetten des Menschlichen betrachtet werden. br> „Du bist selber ein Karamasow, du bist in allem ein Karamasow… Vom Vater her bist du ein Wollüstling, von der Mutter her ein christlicher Narr… Das ist alles, mein Lieber, eine alte Geschichte. Wenn sogar in dir ein Wollüstling steckt, was ist dann mit Iwan, deinem leiblichen Bruder? Er ist doch auch ein Kara­masow. Darin besteht ja eure ganze Karamasow-Frage: ihr seid Wollüstlinge, Habgierige und christliche Narren! Dein Bruder Iwan veröffentlicht vorläufig, aus irgendeiner ganz dummen, unbekannten Berechnung heraus, zum Spaß theologische Artikelchen, obwohl er Atheist ist, und gibt diese Gemeinheit selber zu – dieser dein Bruder Iwan. Außerdem sucht er seinem Bruder Mitja die Braut abspenstig zu machen, na, und dieses Ziel wird er wohl erreichen. Noch dazu mit Zustimmung Mitjenkas selber, denn Mitjenka selber tritt ihm seine Braut ab, nur um sie loszuwerden und möglichst bald zu Gruschenka übergehen zu können. Und das alles bei seiner vornehmen Gesinnung und Uneigennützigkeit, merk dir das! Gerade solche Leute sind die gefährlichsten!“ (Dostojewskij 1879/80, S. 112 f.)
Von den Karamasows wird der Bastard Smerdjakow nach dem Vor­bild seiner geistesgestörten Mutter als Koch und Diener nahezu ausschließlich als tierisch-physiologisches Wesen behandelt. (Das hat für ihn den Vorteil, daß ihm niemand die intellektuelle Leistung zutraut, die angeblich für einen Mord erforderlich ist.) Der Haudegen Dmitrji beweist Willen, doch der Mangel an Denkfähigkeit bringt ihn rasch wieder von seinen Vorsätzen ab. Iwan, der Intellektuelle, reflektiert scharfzüngig über äußere Gegebenheiten – echte, verinnerlichte Werte sind ihm fremd. Aljoscha schließ­lich symbolisiert auf der vierten Ebene den Moral­menschen, dem umfassende Erfahrung noch fehlt. Auf diese Weise repräsentieren die Brüder Karamasow die conditio humana aus einer vertikalen Perspektive. Die Brüder verkörpern als äußerlich selbständige Figuren, was eigentlich innerhalb eines jeden Menschen als Wesenskomplex angesehen werden muß.
Viktor Kalinke, 4/2007

Gastkünstler der Ausstellung QUERSCHLAG IV in der Galerie Westerheide in Ranis 31.05.-31.08.2006

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