Künstlergruppe Querschlag (2003-2008)

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Michael Goller

Malerei (2002-2004)

ISBN 3-938543-03-5
mit einem Text von Peter Piek
1. Auflage 100 Exemplare 2005 Passage Verlag Leipzig
40 S., farbig, 10,- EUR
(Auflage vergriffen)

Katalogtext:

Michael Goller malt.
Ok. folgende Sachlage: Die Protagonisten dieses Textes. aber es ist kein Text, es ist ein Leben, sind in einer Einraumwohnung eingesperrt. Ein mittelgroßer Raum. 20 Quadratmeter. leer bis auf: vier Stühle, eine Leinwand. 105 * 150 cm groß. Querformat. außerdem gibt es Fenster, die Licht herein aber keinen Blick hinaus lassen. Ein Skizzenbuch, welches man nicht anfassen kann (von Magnetfeld abgeschirmt). Eine kleine Pappe. eine Toilette. und eine Küche (mit Lebensmittelvorräten (für zwölf Jahre)). Es gibt viele Sachen nicht: Ablenkung. kein Fernseher, kein Computer, kein Internet. Keine Stereoanlage. Kein Telefon. Keine Bücher. keine Fotos. trotzdem, oder gerade deswegen wird sich niemand der Protagonisten langweilen. niemals. die Wände sind weiß, wie die Leinwand. ach und es gibt keine Tür. und keine Erinnerung. und keine Zeit. es ist immer hell.
Herr Gelb, Fräulein Violett, Herr Blau und Frau Weiß befinden sich in dem Raum. Sie kennen sich nicht. (keine Erinnerung) Oft sitzen sie in einer Reihe auf ihren Stühlen in reichlich Entfernung vor der Leinwand. betrachten diese. Wochenlang. Stundenlang. Jahrelang? sie wissen es nicht. aber es kommt ihnen lang vor. Die Leinwand bleibt weiß. "möchtet ihr Kaffee nach dem Essen?" fragt Herr Gelb die anderen. "Ja gern." "ich nicht unbedingt." "weiß mit Zucker, ja?" "und du? ja oder nein? "na ok. ich nehm auch einen" "ich muss noch mal schnell, ihr wisst schon. auf die Toilette. aber wartet nicht mit dem Essen." So vergeht die Zeit sehr harmonisch. Nicht immer, aber sehr oft schauen sie auf die Leinwand. in einer Ahnung kommender Farbe, Linien, Punkte und Flächen. Ein Spannungsfeld entsteht, dem sich die Protagonisten in Erwartung nicht entziehen können.
Als niemand damit rechnete: öffnet sich das Skizzenbuch von selbst). Die Protagonisten sind erschrocken.
eine kleine Zeichnung entsteht. Feder, violette Tusche, sparsam laviert und ein paar Buntstiftstriche. Ein Schwarzer Fleck in der Mitte "Ich glaube es nicht. Ich glaube es einfach nicht." quietscht Frau Weiß. "w-w-w-w-w" stottert Herr Blau. Sie fassen sich die Hände, um sich zu beruhigen (Die erste Berührung seitdem sie hier sind). "Da wird etwas geschrieben." "Kannst du es lesen?" "mal sehen. Gas-teh-mahl -- mmh -- ah-uh-ef de-eh-rr -- weh-ie-eh-es-eh." "Jaaaa! Gastmahl auf der Wiese" Herr Gelb laut und euphorisch. Die Vier scheinen aufgelöst zu sein. Das Skizzenbuch schlägt zu.
"OOOHh Mann!" - "Huh!"
Die Vier mit den Farbennamen setzten sich. Bilden einen Kreis. Einen Punkt. Obwohl sie sichtlich gefallen daran gefunden haben, einander die Hand zu halten, und dies lange Zeit getan hatten, verlassen sie diesen dünnen zwischenmenschlichen Bund (da Frau Weiß pinkeln gehen muss).
Lange Diskussionen prägen nun das Bild der Einraumwohnung. "Sagt mal. Vielleicht bin ich doof oder so, aber was ist eigentlich eine Wiese?" fragt Fräulein Violett. Herr Gelb, der ein Auge auf Fräulein Violett geworfen hat widerspricht sofort energisch: "Nein. Fräulein Violett. Es gibt keine dummen Fragen" So und anders steigert sich die Diskussion. die nur durch kurze Pausen. etwa zum Essen einnehmen. unterbrochen ist. So passiert es, dass unbemerkt von den sich im Raum befindenden Menschen die Pappe mit Gouache-Farben bemalt wird. Als dies zufällig bemerkt wird, gerät die Stimmung ins Kochen. "Verdammt!“ – „Scheiße! Wie konnten wir das verpassen!" schnauzt Herr Blau wütend. Frau Weiß umarmt ihn besänftigend.
"Es ist ein Entwurf." "für das Bild." "Für die Leinwand."
Sie beschließen, wachsamer zu sein und behalten die noch weiße Leinwand im Auge, so dass wenigstens einer der Vier ein Auge darauf hat. "Das Bild wird alle unsere Fragen beantworten." Herr Gelb ist stolz auf diesen Satz.
Unterdessen treten erste Differenzen in der Gruppe auf, da Fräulein Violett die schleichenden aber kontinuierlichen Annäherungsversuche von Herr Gelb und Herr Blau nur spärlich erwidert und ihrerseits aber in Frau Weiß verfallen zu sein scheint, die wiederum von Herr Blau angetan ist, aber auch bei Herr Gelb keinesfalls nein sagen würde.
Die Situation wäre vielleicht schon eskaliert, wenn nicht die Spannung auf das Bild die Protagonisten zur Vernunft bringen würde.
und dann geschieht es auch:
schnell. spontan. flächig. mit viel Terpentin verdünnte Ölfarbe. mit großem Borstenpinsel. helles Lila. helles Türkis. tropfen rollen angezogen von der Schwerkraft. "Gestisch wie sau!" bemerkt Fräulein Violett. "irgendetwas wird da abgedeckt." "angeklebt denke ich." "was soll da geschützt werden?" „und vor was?“ „ein Teilbereich.“
ein durchsichtiges strapazierfähiges Papier im Format a4 wurde quer und mittig an der Leinwand befestigt. Mit Buntstiften entstehen nun sehr detaillierte Zeichnungen von Stilllebenelementen. (diese Striche sind nur auf dem Original zu erkennen) "ob diese Gläser und Flaschen, bei dem, der das hier gerade zeichnet, im Atelier herumliegen?" "Schaut! das Papier, die Maskierung ist heruntergerissen worden" "Das macht doch keinen Sinn." "Vielleicht hat der Maler seine Meinung geändert."
Der Malakt geht nun Schritt für Schritt von statten: Verstärkung der flächigen Untermalung mit pastoser angeflüssigter Ölfarbe. „Wie das riecht.“ Terpentingeruch breitet sich in der Einraumwohnung aus. Schwarze Bereiche in der Mitte. Stilllebenzeichnungen werden partiell aufgenommen und geben formellen Halt für die Violetten und gelbgrünen Flächen. Im linken Bereich entsteht eine Figur mit breitem Pinsel ausgeführt. „Man Eh.“ „Das ist hingerotzt!“ Die Stimmung unter den Protagonisten ist sehr gespannt. Geschehnisse um das Bild nehmen sie mit in eine Ferne neue Welt (ohne Erinnerung ist alles neu, aber das hier wäre es auch so gewesen). Die Energie des Malens. Die Energie, des sichtbaren Malprozesses überträgt sich auf die Vier. „Jetzt wird ein Weißer Fleck hingeschmiert“ Zeichnung hineingeritzt. Pause. Die Protagonisten starren auf das Bild. Die Stimmung bleibt erregt. Dann: Über die Stilllebenelemente im rechten Bildteil. Überlegtes leuchtendes Blau und Hellgrün. Schwarze Linien. Hereinfliegende Figur am Oberen Bildrand. „Das war in der Skizze.“ „Ach!“ Man spürt, dass etwas Tiefes in der Luft liegt. Links wie blind geschmierte Striche. Grün und Gelb. Locker. Frei. „Ist das Geil“ haucht Fräulein Violett. Gleich muss etwas passieren. Noch ein Strich auf der Leinwand..
Frau Weiß zerreißt anfallartig ihre dünne Bluse. Die Situation explodiert. Sie wirft sich mit ihren nackten Brüsten auf Herr Blau. Dieser der Situation ausgeliefert und überfordert schleudert Frau Weiß mit unscheinbarer nie zuvor gespürter Kraft gegen die Wand der Einraumwohnung. Fräulein Violett springt in dem Moment auf, als Frau Weiß an der Wand aufschlägt und nimmt diese in die Arme. Legt sie nicht sanft auf den Boden und beginnt Frau Weiß’s Brüste zu küssen, und zieht ihre eigene Hose und den Rock von Frau Weiß herunter. Herr Blau der die brutale Kraft des Malvorganges ebenfalls in sexuelle Energie umgesetzt hat, und seit geraumer Zeit hoch erregt ist reist sich die spärliche Bekleidung vom Leib und dringt von hinten in Fräulein Violett ein. Spürt den feuchten warmen Druck. Fräulein Violett umspielt mit der Zunge den Kitzler ihrer angebeteten Frau Weiß. Herr Gelb starrt, des Treibens außenstehend, auf das Bild, auf dem seit Frau Weiß ihre Bluse gelüftet hat nichts passiert ist. Dann schlägt er mit Wucht in das Gesicht von Herr Blau der dadurch aus Fräulein Violett herausgleitet und auf den Boden geschleudert wird. Seine Nase beginnt zu bluten.
Die Situation eskaliert. Niemand greift ein. Frau Weiß springt vom Boden auf und schiebt sich energisch auf den Penis von Herr Blau. Beginnt kraftvoll auf ihm zu reiten und leckt ihm das laufende Blut vom Körper. Indess schreit Herr Gelb wie am Spieß, als er in Fräulein Violett eindringt. Alle Stöhnen. Die Vier mit den Farbennamen ficken sich wie Geistes- und Verstandeslos. (Wie die Hasen.)
Das Bild Trocknet. Selig liegen sie nun als Knäuel auf dem Boden. Betrachten das Bild. „Ich mach uns etwas zu essen“ sagt Herr Gelb, dem das mit der Nase leid tut. Die Stimmung ist nun sehr ausgeglichen und liebevoll. „ist es fertig?“ „weiß nicht. Ich glaube nicht.“ - Gestische Strichlagen im Linken Teil. „die Sahne fehlt noch.“ (sie trinken Kaffee). - Rote Tupfer rechts. „noch das I-Tüpfelchen Sahne bitte!“ (sie essen Eis) - mit hoher Konzentration entsteht Schrift: Gastmahl auf der Wiese. - „das letzte Quentchen. Ich weiß es nicht“ (sie schmecken die Suppe ab)
Links oben: m.goller. „Das Signum!“ „Jetzt ist es wohl vollendet.“
Sehr lange passierte nichts. - nichts. Frustration der Vier. „Jetzt ist alles zu Ende“ Jammert Frau Weiß. Dann: nach endlosem Warten und einem gescheitertem Suizidversuch von Herr Blau. Endlich: Drübermalen eines Bootes.
„Vielleicht hat m.goller einen Urlaub am Meer gemacht. Könnte doch sein. Hmm?“
„Dieses Bild ist das Ganze Leben“ Fräulein Violett ist stolz auf diesen Satz.
Peter Piek, Leipzig Jan 2005

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