Künstlergruppe Querschlag (2003-2008)

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Schöne verkehrte Welt

Gedanken zu Michael Knauth und seiner Installation "Wir sind Gott"

Michael Knauth's Intallation in der St.Ignatius-Kirche Verkehrte Welt. Die Welt steht Kopf. Wir sind Gott. Die Welt ist ein Marionettenspiel. Wer ist der Puppenspieler? Wer trägt die Verantwortung? Wer entscheidet über den Verlauf des Spiels, die Regeln und sein Ende? Wenn wir Gott sind, sollten wir doch zumindest mitentscheiden. Doch wer sich, verstrickt in Alltagszwängen, nie mit diesen Fragen beschäftigt, so philosophisch sie klingen mögen, wird auch keine prüfenden Gedanken daran verschwenden, ob er nun Akteur ist, Regisseur sogar oder lediglich eine benutzte, manipulierte Figur, ausgeliefert einem undurchsichtigen existentiellen und gesellschaftlichen Spiel mit undurchschaubaren Regeln. Kunst stellt Fragen, sie fordert zum Denken heraus – im Idealfall. Will Kunst nur schön, gefällig und unterhaltend sein, bleibt sie affirmativ und dümpelt als belanglose Dekorationsware für den lifestyligen Massengeschmack herum. Der Chemnitzer Künstler Michael Knauth geht über das Fragenstellen weit hinaus. Auf höchst eindrucksvolle Weise bringt er unterschiedliche Funktionen und Erscheinungsweisen von Kunst in seinem Werk zusammen – wie in seiner großen, nicht zu übersehenden Revolte gegen die selbstverantwortete existentielle und gesellschaftliche Ohnmacht: "Wir sind Gott". Man denkt an Kants berühmte Definition der Aufklärung, die den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien will. Knauth bringt sein zentrales Anliegen, daß Kunst durchaus mit einem wachrüttelnden Bildungsauftrag ausgestattet ist, in dieser Arbeit auf den Punkt, ohne dabei in konzeptuelle Diskursplatitüden mit Insidergetue zu verfallen. Im Gegenteil: Seine Installationsarbeit verfügt über einen so sensiblen wie sinnlichen Anteil, mit unmittelbar grotesken und absurden Zügen. 24 gleiche, vielleicht geklonte Puppen, die es bei aller aseptischen prallen Coolness durchaus unanständig meinen könnten, hängen zum Nichtstun verurteilt kopfüber von der Decke, ausgeliefert einem verborgenen Puppenspieler. Letztlich spielt es keine Rolle, ob die Puppen weiblich sind, ausgestattet mit allen wesentlichen Attributen, die sie auf den leidvollen Status einer reinen Gebrauchsfigur herabwürdigen, sie ist ohnehin leblos, ohne Bewußtsein ihrer selbst und ohne Wissen um eine Welt, die sich mehr erwünscht als eindimensionale Marionettenzombies. Der Betrachter von Knauths Arbeit erschrickt, die appellative und provozierende Kraft der gleichförmigen, ja seriellen Puppenarmee ist so stark, daß sich jeder sofort darin wiederfinden kann, sich fragen muß, hänge auch ich dort an unsichtbaren Fäden, am Strick und warum? Welche Rolle spiele ich, bin ich fremdgesteuert? Knauths verkehrte Welt ist zwar ein theatrum mundi, jedoch mit der Chance, daß sie sich wieder zurecht rücken läßt – zum Besseren. Zumindest ist das die tiefe Absicht seiner Arbeiten und für ihn auch die Legitimation von Kunst überhaupt: ohne die selbstgefälligen Allüren akademischer Konzeptkunst, fern jeder privatmysthischer l'art pour l'art-Ergüsse versucht Knauth Sehgewohnheiten zu durchbrechen. Vom verspielten Aha-Erlebnis bis zur inszenierten RadikalSchockShow reicht seine Palette, um unser eingeschlafenes Bewußtsein aus seinem kritiklosen Dämmerzustand heraus zutreiben und an zustacheln, all das wieder in die eigene Hand zu nehmen, was wir leichtfertig den Strategen der Konsum- und Werbewelt überlassen haben. Kunst hat für Michael Knauth den Auftrag, die simplen Sachverhalte des menschlichen Gegen- und Miteinanders sichtbar zu machen, uns plausible Erklärungs- und Handlungsmöglichkeiten bereitzustellen, mit denen wir unsere eigenen automatisierten Manipulationstechniken wieder ablegen können, um zu einem authentischen (Selbst-)Erleben zurück zufinden, fern jener selbsthypnothischen Ruhigstellung. Indem der einzelne das Zusammenwirken stereotyper Manipulationsmechanismen durchbricht, haucht er sich selbst insofern wieder Leben ein, daß er ein wahrhaft Ganzes erkennen kann, in dem er als autonomes Wesen handelt und denkt, und nicht mehr wie eine willenlose Puppe geführt und vorgeführt wird. Aus den künstlichen Paradiesen der suggestiven, alles nivellierenden Werbeästhetik katapultieren uns die Bilder und Installationen, die gedankenvollen Inszenierungen von Knauth schlagartig hinaus, wenn wir in einem Augenblick ehrlicher Selbsterkenntnis realisieren, wir sind vielleicht nicht (wie) Gott, aber auf jeden Fall alles andere als eine narkotisierte Puppe. Ein wenig wie Prometheus hat Michael Knauth den Göttern das Feuer entwendet. Dem Künstler bleibt nun erst recht die Aufgabe, vieles mit und für viele zu tun, aber eben nicht als ein moderner Sisyphos.
Text © Klaus Fischer 2007
Vorsitzender des Vereins Freunde Aktueller Kunst e.V.

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